- Ein Knurren in der Dunkelheit
- Meine Schattin
- Stadtidylle
Ein Knurren in der Dunkelheit
Ein Knurren in der Dunkelheit. Ob es ein Wolf ist, frage ich. Schritte, Schritte neben meinem Bett. Ich bekomme eine Gänsehaut und mir sträubt sich das Fell. Ein Knurren in der Dunkelheit. Bin ich nicht mehr allein in dieser finsteren Nacht? Der Spiegel ist schwarz, ich kann mich nicht sehen. Krallen, die an meinem Bettpfosten geschärft werden. Es riecht nach Angst. Ob es ein Wolf ist, frage ich. Meine Hände zittern. Kommst Du, um mit mir zu spielen?
Donnergrollen erfüllt den wolkenschwangeren Himmel. Blitze zerschneiden meine Fensterscheibe. Ein Schatten bewegt sich vor meinem Bett, duckt sich. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf. Prasselnd schlägt der Regen gegen das Fenster. Ob er gewaltsam bei mir eindringt, frage ich. Ein Knurren in der Dunkelheit. Ich taste nach dem Lichtschalter, das Zimmer wird belebt durch Hell und Schatten. Niemand ist hier, außer dem Gewitter draußen vor der Tür, meinem Spiegelbild und mir. Ein Knurren. Es ist mein Magen! Ich habe Hunger. Mehr ist es nicht…
© E.C.M. Tüx
Meine Schattin
Sie folgt mir, lautlos, fraglos, erbarmungslos, meine Schattin. Ihr zu entfliehen vermag ich nur in vollkommener Dunkelheit. Oder ist sie dort ebenfalls neben mir und ich kann sie nur nicht sehen?
Immer will sie meine Füße berühren. Manchmal setze ich mich auf eine zerfallene Mauer und blicke auf sie hinab, beobachte, wie sie sich bemüht, meine Fußsohlen zu erreichen.
Sie gibt nie auf. Sie wagt provokant, mich zu imitieren, trägt Stiefel, wenn ich welche trage. Laufe ich barfuss, so auch sie.
Wenn ich mich unter der Bettdecke verkrieche, drängt sie sich dazu.
Ich habe versucht, vor ihr davon zu laufen: Sie ist stets genau so schnell wie ich. Ich bin unter Wasser getaucht, bis ich beinahe ertrank – sie schwamm friedlich auf der Oberfläche und wartete auf mich. Ich bin unter die Erde gekrochen, doch ich spürte: Auch dorthin folgte sie mir.
Wie soll ich ihr entkommen?
Morgen werde ich etwas Neues versuchen, um einen Weg zu entdecken, auf dem sie mir nicht folgen kann. Ich frage mich, ob sie das Fliegen beherrscht. Um das herauszufinden, muss ich nicht einmal von ganz oben springen, elf Stockwerke sollten genügen…
© E.C.M. Tüx
Stadtidylle
Schwarz gefärbte Schuhe auf roten Pflastersteinen. Die Stadt riecht nach Egoismus und Verderben. Hart und kalt sind die Wände der Häuser. Wieso sind sie bunt gestrichen? Jeder weiß doch von ihrer wahren, trostlosen Farbe! Das muntere Lied von Blau und Gelb und Grün betrügt uns, vertuscht das wahre Gesicht. Die Seele der Stadt fault in den Kanalisationen und den schmutzigen, zitternden Händen der Bettler am Straßenrand. Der Blinde sucht noch immer nach Hilfe, wo geschrieben steht, daß es keine gibt,und der Taube versteht nicht, daß er gehen soll. Nur der Stumme sieht und hört aber ist unfähig, es seinen Brüdern zu berichten. Verkümmert ist die Kommunikation, hat sich zurückentwickelt und besteht nur noch aus Werbeplakaten und Leuchtreklame. Ein Baby verhungert im Kinderzimmer, während die Mutter sich bei Drogen und Alkohol vergißt und der Vater bei einem Streit auf den nächtlichen Straßen erstochen wird. In den Schulen wird das Alphabet gelehrt – das „N“ für Nächstenliebe hat man vergessen und das „S“ für Solidarität wird kaum mehr benutz.
In Erinnerung bleiben die Farben der Polizeiautos und Krankenwagen, nicht die braunen Augen der Mutter. Und vom Namen des Vaters weiß keiner etwas.
© E.C.M. Tüx